Diatomeen (auch Kieselalgen genannt) sind mikroskopisch kleine, einzellige Lebewesen, die in Seen, Flüssen und Meeren weltweit verbreitet sind. Es handelt sich um eine enorm artenreiche Organismengruppe, die ökologisch von großer Bedeutung ist. Zusammen mit den Blaualgen (=Cyanobakterien) und den grünen Pflanzen gehören die Diatomeen zu den wichtigsten Sauerstoffproduzenten auf unserem Planeten.
Diatomeen sind außerdem von enormer Bedeutung in den aquatischen Nahrungsnetzen, weil sich viele Kleinstlebewesen, Schnecken, Würmer und Krebse von ihnen ernähren, die wiederum Fischen, Vögeln und Meeressäugern als Nahrung dienen.
Die deutsche Bezeichnung „Kieselalge“ leitet sich von den glasartigen und chemisch sehr beständigen Kieselsäureschalen ab, die die Zellen der Diatomeen umschließen. Diese transparenten Schalen besitzen charakteristische Formen und filigrane Punktierungen, die es Fachleuten ermöglichen, die verschiedenen Arten zu unterscheiden. Da viele Diatomeenarten empfindlich auf Veränderungen der Wasserqualität reagieren, werden sie schon seit Jahrzehnten als Indikatororganismen im Gewässermonitoring benutzt. Die Untersuchung von Diatomeen in Sediment-Bohrkernen ermöglicht es, die ökologische Veränderung von Gewässern über lange Zeiträume zurück zu verfolgen.
Durch moderne molekulare Verfahren (DNA-Sequenzierung) kann man Diatomeen heute noch präziser unterscheiden, als das früher mit lichtmikroskopischen Untersuchungen allein möglich war. Die verfeinerten Methoden belegen, dass die Diversität der Diatomeen noch weit höher ist, als man bisher vermutet hat.
Die meisten der rund 10.000 bisher bekannten Kieselalgentaxa wurden auf Basis von lichtmikroskopischen Schalenpräparaten beschrieben. Da es nur selten die Möglichkeit gibt, historisches Originalmaterial unter dem Elektronenmikroskop nachzuuntersuchen, ist die taxonomische Validierung dieser Arten anspruchsvoll.
Am besten lässt sich die morphologische Vielfalt der Diatomeen mit Hilfe von Kulturen untersuchen, denn jede Kultur bringt Tausende genetisch identischer Zellen hervor, die man molekular, physiologisch und morphologisch miteinander und mit Zellen aus anderen Kulturen vergleichen kann. Diese Daten sind weit aussagekräftiger als der rein morphologische Vergleich einzelner Kieselschalen einer natürlichen Population. Bei dieser weiß man ja niemals genau, ob sie aus mehreren morphologisch ähnlichen Arten besteht.
Tatsächlich zeigen integrative Untersuchungen (die sowohl molekulare wie morphologische Daten erfassen), dass es bei Diatomeen nicht selten Artenkomplexe gibt, die lichtmikroskopisch nur schwer aufgelöst werden können. Manchmal existieren diese Arten geografisch weit getrennt voneinander, aber mitunter leben sie auch nebeneinander im gleichen Gewässer.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Cocconeis placentula-Komplex. Cocconeis placentula ist eine stark abgeflachte Diatomee mit ovalem Umriss, die die Oberfläche von fädigen Grünalgen oder Wasserpflanzen besiedelt. In den letzten Jahren wurden von unserer Forschungsgruppe bereits mehrere Arten aus dem Cocconeis placentula-Komplex neu beschrieben.
Im Zeitraum von April 2021 bis Mai 2022 ergab sich die Gelegenheit, in Kooperation mit Dr. Rosalina Stancheva Christova (Aquatic Ecology at George Mason University, Fairfax, US) einige bisher noch unbeschriebene Cocconeis-Arten aus kalifornischen Gewässern mit integrativen Methoden zu untersuchen.
Aus insgesamt 38 Wasserproben kalifornischer Fließgewässser wurden dazu mehrere hundert Cocconeis-Zellen isoliert, von Verunreinigungen befreit und einzeln in Kulturmedium überführt. Dieses Verfahren ist sehr zeitaufwendig, da sich die Algen nur schwer vom Untergrund ablösen.
Viele der Isolate wurden bei der Isolation beschädigt oder starben ab, letztendlich konnten immerhin 80 Klonkulturen erfolgreich geerntet und ausgewertet werden. Der morphologische und molekulare Vergleich ergab, dass es sich um zehn verschiedene Arten handelte, von denen sieben bisher noch unbeschrieben sind. Einige der Kulturen durchliefen sogar eine Auxosporulation, bei der sich kleine vegetative Zellen zu Gameten differenzierten, miteinander verschmolzen und im Anschluss sogenannte Initialzellen (Ausgangszellen mit maximaler Größe) bildeten. Ein Vorgang, der bisher nur bei wenigen Arten dokumentiert wurde und wichtige Erkenntnisse zur morphologischen Variabilität der einzelnen Taxa liefert.
Neben der Gattung Cocconeis wurden natürlich auch viele weitere interessante Diatomeen in den Proben entdeckt und zeitgleich mit in Kultur genommen. Insgesamt wurden aus den kalifornischen Wasserproben 338 Kulturen gewonnen, die mindestens 34 Gattungen umfassen. Nur ein geringer Teil dieser Isolate konnte bisher taxonomisch ausgewertet werden, aber eine der auffälligsten kultivierten Arten wurde gerade von unserer Forschungsgruppe als neue Gattung (Gomphadelpha) beschrieben.